Astrid Brüggemann - Märchen in München

Die zwei Riesen

Es waren einmal zwei Riesen, der wilde Witzel und der prahlende Rotzel, die wohnten jeder auf einer Seite eines Berges: hier der wilde Witzel, und da der prahlende Rotzel.

Eines Tages sagte der Witzel zu seiner Frau: „Der Rotzel gefällt mir nicht. Ich geh über den Berg, ich will ihn verprügeln.“ Also steigt er auf der einen Seite hoch und auf der anderen wieder hinunter. Er kommt zum Haus des Rotzels, aber da ist nur seine Frau daheim.

„Wo ist der Rotzel? Der rotzelt mir zuviel, ich will ihn verprügeln.“ „Ach“, sagt die Frau, „der Rotzel ist gerade nicht zu Hause. Aber komm doch herein, du kannst warten.“ „Ja, wo ist er denn hingegangen?“ fragt Witzel. „Ja -, schau dort zum Berg. Der Rotzel ist hinaufgestiegen, um zu pinkeln.“ „Um zu pi...?“ „Ja“, sagt sie, „schau nur, wie der Strahl herunterfällt.“ Dabei zeigt sie auf einen Wasserfall, der da unentwegt vom Berg fällt.

„Er wird vor drei Stunden nicht damit fertig sein. Komm nur herein, ich koche dir eine Tasse Tee.“ „Oi“, denkt der Witzel, „drei Stunden macht der das, was muss das für ein Kerl sein!“ Und er sagt zur Frau Rotzel: „Nein, danke, ich geh doch lieber über den Berg nach Hause“.

Er steigt auf der einen Seite hoch und auf der anderen Seite wieder runter und erzählt seiner Frau, was er erlebt hat. „Und wenn er nun kommt und sich rächen will? Der macht Mus aus mir!“ „Lass mich nur machen, und bleib du ganz still“ beruhigt ihn seine Frau.

Unterdessen kommt der Rotzel heim – er war gar nicht auf dem Berg gewesen, er war im Wald, Holz sammeln. Und seine Frau erzählt ihm, dass der Witzel da gewesen ist, und wie das so gegangen ist.

„Was!“ schreit der prahlende Rotzel, „dieser Angeber, ich zerdrück ihn zu Mus!“ Er steigt auf der einen Seite des Berges hinauf und auf der anderen Seite wieder herunter. Witzel sieht ihn kommen und jammert. „Sei still,“ sagt seine Frau, „leg dich ins Bett, zieh die Decke bis über die Nase, und rühr dich nicht.“ Dann läuft sie dem Rotzel entgegen und sagt: „Leise, leise, das Kind ist gerade eingeschlafen!“

Sie zieht ihn am Ärmel mit ans Bett und singt: „Schlaf, Kindchen, schlaf...“ Der Rotzel schaut auf den Berg unter der Bettdecke und denkt: „Oi, wenn das das Kind des wilden Witzels ist, wie wild muss dann der Witzel selber sein.“ Und er sagt zur Frau Witzel: „Ich geh doch wieder über den Berg nach Hause.“

Er steigt auf der einen Seite des Berges hinauf und auf der anderen wieder hinunter, und seit der Zeit leben Witzels und Rotzels ganz friedlich nebeneinander.

 

Märchen aus Ostfriesland, aus: Linde Knoch, Praxisbuch Märchen. 2001

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